MinarettArabischer Türmchenbau mit Bauteilklau | |||||
Verlag | Autor | Alter | Preis | ||
Siebenstein Spiele | Jürgen Reiche | ab 12 | Euro 15/30,- |
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Einleitung: | Der leider immer noch relativ unbekannte Siebenstein-Verlag von Jürgen Reiche hat sich weitestgehend der edlen, modernen Umsetzung traditioneller Spielideen verschiedener Kulturkreise verschrieben. Hierbei liegt das Hauptgewicht auf strategischen Zweispielerspielen, schön gestaltet in Holz (in der teureren traditional line) bzw. Holz auf Filzspielplan (in der preiswerteren exclusive line). Hierunter ein optisch wie spielerisch besonders schönes Exemplar ist das hier besprochene Minarett, das es sowohl in reiner Holz- sowie Holz mit Filzspielplan-Ausführung zu kaufen gibt. | ||||||||
Ablauf: | Spielziel des arabischen Strategiespiels um die Türme der Großen Moschee (Untertitel) ist es, entweder ein komplettes dreiteiliges Minarett, bestehend aus Basis, Turmteil und Spitzdach, in seiner Farbe zu errichten oder - alternativ - dem Gegner drei seiner insgesamt 12 Bauteile zu stehlen. Zu Spielbeginn ist das 5x5 Felder große Spielfeld, deren Felder mit Zuglinien verbunden sind, leer. Jeder Mitspieler besitzt einen Vorrat von 12 Bauteilen seiner Farbe (je vier Mal Basis, Turmteil und Spitzdach). Ist ein Spieler an der Reihe (was abwechselnd der Fall ist), so hat er die Möglichkeit, entweder einen Stein aus seinem Vorrat auf dem Spielbrett zu platzieren oder bereits vorhandene Steine oder Türme auf dem Spielplan zu bewegen. Eine der Grundregeln besagt, dass Spielsteine nur entweder auf leeren Feldern oder auf größeren Bauteilen Platz finden dürfen. So ist es nicht möglich, gleiche Bauteile aufeinanderzustapeln oder z.B. eine Basis auf ein Turmteil, ein Turmteil auf ein Spitzdach (was auch nicht halten dürfte, außer man verfügt über außerordentliches Geschick) oder gar einen Basisspielstein auf ein Dach. Des weiteren dürfen ein-, zwei- oder dreigeschossige Türme oder Turmteile nur dann komplett bewegt werden, wenn mindestens die Hälfte der Bauteile von der eigenen Farbe sind. Wobei wir bei den Zügen werden, es gibt derer drei Arten: geschlossene, halböffnende und öffnende Züge. Geschlossene Züge bezeichnen die Bewegung eines kompletten Turms, diesen darf man dann um maximal so viele Felder bewegen, wie er Bauteile besitzt, d.h. ein dreigeschossiges Bauwerk um maximal drei Felder entlang der eingezeichneten Zuglinien. Halböffnende Züge bezeichnen das Bewegen eines Turmteils, so z.B. der oberen beiden Stockwerke eines dreiteiligen Turms, sofern die oberen beiden Teile mindestens zur Hälfte der eigenen Farbe angehören. Öffnende Züge sind hingegen die bei weitem komplexeste Variante - hier wird ein mehrteiliger Turm in einem Zug komplett abgebaut, z.B. bei einem dreiteiligen Turm der mittlere Stein auf ein angrenzendes Feld und das Dach ein Feld weiter, während die Basis stehen bleibt. Je nachdem, mit wie vielen eigene Bauteilen man im Turm vertreten ist, darf man sogar erst den kompletten Turm ein Feld weiterziehen, um dann Mittelteil und Dach weiterzubewegen. Das alles hört sich kompliziert an, geht aber aufgrund der innewohnenden Logik und Offensichtlichkeit schnell in Fleisch und Blut über, so dass man sich auf die Siegbedingungen konzentrieren kann. Ein Minarett in seiner Farbe zu errichten ist dabei die offensichtlichste, aber leider auch für den Gegner leicht zu erkennende Strategie. Wesentlich subtiler und weitaus öfter von Bedeutung ist das Erobern von drei gegnerischen Bauteilen. Um ein solches Bauteil zu ergattern, benötigt man eine kleine respektive große Gewinnstellung. Letztere ist, ganz einfach, fünf eigene Bauteile in einer Reihe auf der Grundebene, sprich: dem Spielbrett. Also eine Art 5 gewinnt. Leider ist auch diese recht einfach zu erkennen und zu verhindern, so dass sich bei fortgeschrittenen Partien das meiste in der zweiten oder dritten Turm-Ebene abspielt, dort gibt es eine 3 gewinnt-Stellung. Sind 3 gleiche Steinarten einer Farbe in der zweiten oder dritten Stockwerksebene in einer Reihe (verbunden über die Zuglinien auf dem Spielfeld), so darf man dem Gegner ein wertvolles Bauteil vom Spielfeld rauben. Dieses Spielelement sorgt in Verbindung mit gekonntem Turmab- und Aufbauen für die meiste Dynamik im Spiel. | ||||||||
Eindruck: | Wie spielt sich das ganze nun? Zu Anfang ist, etwas analog dem Mühle-Feeling, zumeist Bauteileinsetzen mit sehr geringen Bewegungen auf dem Brett angesagt. Bei den ersten Partien oder grober Unaufmerksamkeit einer der beiden Spieler kann sich hier schnell auch mal ein Bauteilraub oder gar ein komplettes Minarett ergeben; in ausgeglichenen Partien geübter Spieler beschränkt sich das ganze aber meist auf das Einsetzen von mindestens 2/3 der verfügbaren Bauteile, bevor ernsthafte Bewegungen auf dem Brett zustande kommen. Dennoch bedingt natürlich die anfängliche Platzierung der Bauteile schon stark die weiteren Bewegungsmöglichkeiten, so dass die Anfangsphase zu keinem Moment langweilig oder langwierig erscheint. Darauffolgend ergeben sich meist erste Bewegungen mit dem Ziel, eine kleine oder große Gewinnstellung zum eigenen Vorteil zu realisieren. Selbst wenn man vielleicht nicht das Ziel verfolgt, durch Stehlen dreier Bauteile des Gegners zu gewinnen, so bringt eine Minimierung der gegnerischen Ressourcen natürlich auch ungemeine Vorteile bei der Errichtung eines eigenfarbigen Minaretts mit sich, so dass dies meist vorrangige Bedeutung hat. Im weiteren Spielverlauf wird zum Teil vorsichtig abgetastet, Gewinnstellungen werden vereitelt, eigene in Planung genommen. Auch regelrechte Zwickmühlen können aufgebaut werden, sofern das eigene Denkvermögen oder das gegnerische -unvermögen dies zulassen, wie gesagt, wir haben es hier mit drei Ebenen statt nur einer zu tun. Nicht selten entstehen auch zweiteilige Gewinnstellungen, also solche, in denen sowohl man selbst als auch der Gegner über drei gleichartige Steine in einer Reihe verfügen oder verfügen könnte, was zur reichhaltigen strategischen Palette des Spiels zu zählen ist. Für jede Strategie gibt es eine Gegenstrategie, so dass dies ein rein intellektueller Kampf ohne jedes Glückselement ist. Man kann Stellungen sichern, Angriffe ausführen, verteiteln, und dennoch ist die Zugauswahl so mannigfach und trotzdem klar und logisch, dass man in jedem Zug mit voller Konzentration spielen muss, um dem Gegner nicht leichtfertig Tür und Tor zu öffnen. So ergibt sich hier eine Spieltiefe, die den Vergleich mit Klassikern wie Go oder Schach nicht zu scheuen braucht. | ||||||||
Fazit: | So verbreitet Minarett seit dem ersten Auspacken und Verständnis der Regeln eine ungebrochene Faszination im Bereich der strategischen Zweispielerspiele, die ihresgleichen sucht. Jede Partie ist aufs neue ein reizvolles intellektuelles Abenteuer mit ungewissem Ausgang, jedes Mal gibt es neue Spielverläufe, tun sich neue strategische Möglichkeiten auf. Und jede Spielvariante impliziert eine Gegenvariante, nie scheint ein Ungleichgewicht oder auch nur ein geringer Makel im Spielablauf zu sein. Wer verliert, ja, dem sei beschieden, dass er verloren hat aufgrund seiner selbst. Mich hat selten ein Spiel so fasziniert wie dieses, es ist wirklich ein Schach ohne den Ballast von Kenntnis von Eröffnungen, historischen Partien oder auch der anstrengend langen Spieldauer. Eine Partie Minarett dauert selten länger als 20-30 Minuten, so dass immer noch Zeit ist für zwei bis drei Revanchen. Und kein Verlierer würde nicht auf wenigstens ein, zwei Revanchen bestehen. Ein abschließendes Wort zum Material noch: sofern man sie ergattern kann (die Produktion war zum Zeitpunkt der Rezension ausverkauft), so lohnt sich auf jeden Fall das Erstehen einer Holz-Version der traditional line. Aufgrund der zierlichen Turmbauteile hat das Spiel vom Ästhetischen her mit einem massiven Holzspielbrett eine wesentlich schönere Optik und Spielgefühl als es die mit 30DM halb so teure Filzspielplanvariante bieten kann. Und bei dem spielerischen Gehalt lohnt sich jede Mark, man wird dieses Spiel als Anhänger strategischer Duelle noch sehr oft aus dem Schrank holen. Abschließend, um's mit Jack Nicholson zu sagen: Besser geht's nicht.
cw: Schade ist nur, daß der Verlag es nicht für nötig hielt, auf Anfrage uns schönere Bilder für diese Rezension zur Verfügung zu stellen. Diese 2 Bilder stammen aus einer Zeitschrift, wobei das zweite nur ein Ausschnitt des ersten ist. 'Warum nur?' frage ich mich noch heute. (rp) | ||||||||
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Guillotine | Ulysses | Carcassonne - Die Erweiterung | Fische Fluppen Frikadellen | Der goldene Kompass |
© Carsten Wesel am 09.06.2002 für www.fairspielt.de. Kontakt-Email zum Webmaster. |